Von Andreas Zumach*
Nach intensiver Debatte und trotz einiger verbleibender Bedenken hat meine Regierung beschlossen, die UNO-Konvention zur Abschaffung aller nationalen militärischen Streitkräfte und zum parallelen Aufbau von ständigen Truppen und Polizeikontingenten der UNO zu unterzeichnen.“ Mit diesem Satz löste Washingtons Botschafter Richard Cheney jr. gestern Morgen bei seinen 192 AmtskollegInnen in der New Yorker UNO-Generalversammlung des Jahres 2030 minutenlange Ovationen aus. „Das war der längste Beifall für einen US-Diplomaten, seit Botschafterin Eleanor Roosevelt vor 85 Jahren in San Francisco die Gründungscharta der UNO verlesen hat“, witzelte der Vertreter Kubas.
Mit zahlreichen ironischen Kommentaren wurde auch der Umstand bedacht, dass ausgerechnet der Sohn des ehemaligen US-Vizepräsidenten Richard Cheney, der Anfang des Jahrtausends für die unter Missachtung der UNO-Charta geführten Kriege in Irak und Afghanistan verantwortlich war, nun vor der UNO den bahnbrechenden Beschluss zur Abschaffung der US-Streitkräfte verkündete.
Nach der positiven Entscheidung der US-Regierung sind alle 193 UNO-Staaten an Bord. Damit ist die in Artikel 1 der neuen UNO-Konvention formulierte Bedingung erfüllt, wonach sie nur in Kraft treten kann, wenn sämtliche UNO-Mitglieder mitmachen. Auf diesem Konsenszwang hatten bei der Aushandlung des Vertragstextes neben den USA und Israel auch Russland, China sowie Indien, Pakistan und die beiden Korea bestanden.
Unterzeichnet haben die UNO-Konvention zur Abschaffung aller nationalen Armeen auch all jene Staaten, die noch nie über ein eigenes Militär verfügten oder dieses schon längst abgeschafft haben. Mit dabei ist schließlich auch das jüngste UNO-Mitglied Palästina, das bei der Staatsgründung im Jahre 2013 ausdrücklich auf den Aufbau eigener Streitkräfte verzichtete. Palästina und Israel bestanden allerdings auf einer Garantie, dass die seit 2013 an der Grenze zwischen beiden Staaten stationierten 25.000 UN-Blauhelme unter US-Führung durch Verbände der künftigen UNO-Streitkräfte ersetzt werden. Die Garantie ist in einem Annex der neuen UNO-Konvention geregelt.
UNO-Generalsekretärin Bosilka Delic würdigte die UNO-Konvention gestern vor der Generalversammlung als „Meilenstein in der Zivilisationsgeschichte“. Er stehe „in einer Reihe mit dem Westfälischen Frieden von 1648, der Gründung von Völkerbund und UNO 1919 bzw. 1945, der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und der Genozidkonvention von 1948 sowie der Gründung des Internationalen Strafgerichtshofs 1998“. Delic, eine Muslimin aus Bosnien-Herzegowina, hatte sich seit Beginn ihrer Amtszeit im Jahre 2026 bei widerstrebenden Regierungen immer wieder vehement für die UNO-Konvention eingesetzt. Dazu hatten auch böse persönliche Erfahrungen beigetragen. Als junge Frau war sie während der innerjugoslawischen Kriege Anfang der 1990er-Jahre nicht nur mehrfach von serbischen Soldaten vergewaltigt worden, sondern hatte überdies dem damaligen Kommandeur der UNO-Blauhelme in Bosnien als Zwangsprostituierte dienen müssen.
Im UNO-Generalsekretariat wird damit gerechnet, dass in maximal zwei Jahren, also bis spätestens Herbst 2032, alle UNO-Staaten die Konvention ratifiziert haben. Dann würde ab Januar 2033 eine erste zehnjährige Umsetzungsphase beginnen, in der alle Staaten den Personalbestand ihrer Streitkräfte sowie die Militärausgaben einfrieren und dann pro Jahr um mindestens 5 Prozent reduzieren. Nach einer Überprüfungskonferenz würde dann 2043 eine zweite fünfjährige Umsetzungsphase beginnen mit jährlichen Etatreduzierungen von 10 Prozent. Während dieser insgesamt 15 Jahre müssen die Mitgliedsstaaten mindestens 20 Prozent der frei werdenden Mittel aus den nationalen Militärhaushalten an die UNO abführen – für den Aufbau, die Ausbildung und Ausrüstung einer ständigen UNO-Truppe mit 30.000 SoldatInnen sowie einer ständigen UNO-Polizeieinheit mit 20.000 Mitgliedern. Beide sollen ab 2050 einsatzbereit sein.
Den Großteil der durch die nationale Entmilitarisierung frei werdenden Gelder sollen die Mitgliedsstaaten dazu verwenden, weitere Verpflichtungen aus der grundlegenden UNO-Reform zu erfüllen, die die Generalversammlung im Jahr 2023 beschlossen hat. Die Staaten haben dabei zugestimmt, ihre jährlichen Beträge an den UNO-Haushalt auf zunächst 2, dann 3 Prozent ihres nationalen Bruttosozialprodukts zu steigern. Aus dem deutlich erhöhten UNO-Haushalt sollen dann ab 2050 sämtliche zivilen Aufgaben der Weltorganisation sowie die ständige UNO-Truppe finanziert werden. Frühere Beschlüsse, wie jener lediglich von vier UNO-Staaten umgesetzte aus dem Jahre 1977 zur Erhöhung der Entwicklungshilfeleistungen auf 0,7 Prozent des nationalen Bruttoinlandsprodukts, sind mit dieser grundlegenden Reform der UN-Finanzierung obsolet geworden.
Die Entscheidung über Einsätze der künftigen ständigen Militär- und Polizeikontingente trifft der UNO-Sicherheitsrat mit Zweidrittelmehrheit. Eine Vetomöglichkeit gibt es nicht mehr, da im Zuge der 2026 vereinbarten Reform des Sicherheitsrats das Vetorecht wie auch die ständige Mitgliedschaft einzelner Staaten schrittweise bis zum hundertsten Geburtstag der UNO im Jahre 2045 völlig abgeschafft werden. Allerdings ist in der Konvention festgelegt, dass Entscheidungen des Sicherheitsrats zum Einsatz der ständigen Militär-oder Polizeieinheiten von einer Zweidrittelmehrheit der Generalversammlung aufgehoben werden können.
Für den Dienst in den künftigen Militär- und Polizeieinheiten der UNO können sich Männer und Frauen aus allen Mitgliedsländern bewerben, die dann von der UNO ausgebildet werden. Die neue UN-Frauenabteilung im New Yorker Hauptquartier, die vor drei Jahren durch die Zusammenlegung der bis dato vier verschiedenen für Genderfragen zuständigen UN-Einheiten entstanden war, hatte auf eine 50-Prozent-Quote bei der Rekrutierung gedrungen, um einen gleichen Anteil von Frauen sicherzustellen. Mithilfe einer entsprechenden Quote, die 2019 für die Zivilbeschäftigten der UNO beschlossen worden war, konnte der Frauenanteil inzwischen auf über 42 Prozent und auch in den höchsten Etagen auf mindestens 36 Prozent gesteigert werden. Ziel ist das Erreichen der 50-Prozent-Marke bis spätestens 2045.
In die allgemeine Begeisterung über die neue UNO-Konvention mischten sich gestern nur einige kritische Stimmen von Nichtregierungsorganisationen. „Die Konvention bindet nur Staaten und ihre Regierungen, nicht aber Bürgerkriegsgruppen und Milizen“, monierte Jürgen Grässlin von der deutschen Kampagne gegen Kleinwaffen. Letztgenannte Gruppen ließen sich „nur durch ein striktes, völkerrechtlich verbindliches und von der UNO notfalls mit Sanktionen durchgesetzten Verbot jeglichen Waffenhandels erfolgreich entmilitarisieren“. Um seine Forderung zu unterstreichen, stellte Grässlin gestern neben der Skulptur einer im Lauf verknoteten Pistole, die seit Jahrzehnten vor dem New Yorker UNO-Zentrale steht, eine weitere auf: die Skulptur eines zerbrochenen G-3-Gewehrs der deutschen Firma Heckler & Koch. Diese millionenfach in alle Welt exportierte Gewehre und ihre Nachfolgemodelle sind neben der russischen Kalaschnikow die „erfolgreichsten“ Massenmordinstrumente der Geschichte seit Gründung der UNO.
Der 82-jährige Grässlin kämpft bereits seit den 1970er-Jahren für das Verbot des Exports von Kleinwaffen. Vor vier Jahren wurde er für sein beharrliches Engagement mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Viel wichtiger aber ist ihm, „dass die UNO dieses Verbot endlich durchsetzt“.
* Andreas Zumach ist UN-Korrespondent in Genf. Dieser Beitrag erschien zuerst in der taz vom 30.5.2009