Von Suvendrini Kakuchi*
Im ‚Women’s Active Museum‘ (WAM) im Zentrum von Tokio befinden sich die einzigen visuellen Zeugnisse der systematischen sexuellen Sklaverei, die japanische Soldaten vor und während des Zweiten Weltkriegs in den von ihnen besetzten Ländern praktizierten. Die Fotos, Bücher und Videos erzählen die Geschichten Tausender junger Asiatinnen, die zwischen den dreißiger Jahren und 1945 zum Sex mit Angehörigen der damaligen Kaiserlichen Armee gezwungen wurden. Der japanische Staat stritt die Existenz der so genannten ‚Comfort women‘ (Trostfrauen) jahrzehntelang ab.
Die inzwischen verstorbene Journalistin und Feministin Yayori Matsui und weitere couragierte Japanerinnen setzen sich jedoch für eine Aufarbeitung der Vergangenheit ein. Auf ihre Initiative hin öffnete das Museum 2005 seine Pforten. Die Frauen empfanden Entsetzen und Schuldgefühle, als Überlebende ihnen berichteten, wie sie vergewaltigt und missbraucht worden waren. Matsui gründete daraufhin 1998 die Organisation ‚Violence Against Women in War – Network Japan‘ (VAWW-NET Japan) und begann eine Kampagne für Gerechtigkeit.
Die Journalistin brachte das Thema zu einem Zeitpunkt an die Öffentlichkeit, als sich Japan selbstbewusst als zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt präsentierte. Vom Schicksal der ‚Trostfrauen‘ wollte die Regierung nichts wissen. Die Aktivistin legte sich mit mächtigen konservativen Gruppen an, die das furchtbare Unrecht gegen junge Frauen leugneten, deren Leben durch die sexuelle Sklaverei zerstört worden war.
Unterstützung erhielt VAWW-Net Japan hingegen von japanischen und internationalen Frauenorganisationen. Das Netzwerk fordert weiterhin, dass sich der Staat bei den inzwischen betagten Überlebenden der Übergriffe entschuldigt und ihnen Entschädigungen zukommen lässt.
In den vergangenen Jahren hat WAM auch Zeugnisse von missbrauchten Frauen in anderen Teilen der Welt gesammelt und ausgestellt. Auf Betreiben von Matsui sind zudem in Ländern wie Südkorea, China und Osttimor ähnliche Museen eröffnet und Sensibilisierungskampagnen durchgeführt worden.
Japanische Militärkommandeure und Regierungsbeamte entwickelten das System der sexuellen Sklaverei in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als Teil ihrer Angriffsstrategie in der Asien-Pazifik-Region. Japan annektierte 1910 die koreanische Halbinsel und marschierte 1934 in die Mandschurei im Norden Chinas ein. Später besetzten die Truppen auch Malaysia, Indonesien und die Philippinen und brachten vorübergehend Osttimor unter ihre Kontrolle.
Statistiken über Massenvergewaltigungen und das weitere brutale Vorgehen japanischer Soldaten gegen Zivilisten sind heute allgemein zugänglich. Laut dem japanischen Wissenschaftler Yoshimi Yoshiaki, der detaillierte Informationen über die dunkle Seite der Kolonialgeschichte seines Landes zusammentrug, eröffnete die Armee nach Angaben hoher Offiziere 1932 die erste ‚Troststation‘ in der chinesischen Stadt Schanghai. Tausende Frauen aus besetzten asiatischen Ländern wurden in Zügen in solche Häuser gebracht. Historischen Belegen zufolge bezeichnete die Armee die ‚Troststationen‘ als Mittel, um „sexuelle Probleme der Soldaten zu lösen“.
Unter dieser Losung sandte das Militär Mittelsmänner aus, die die Frauen mit falschen Versprechen aus den Dörfern herauslocken sollten. Unter ihnen waren auch zwölfjährige Mädchen. Die ahnungslosen Frauen glaubten, dass sie Arbeit als Krankenschwestern oder Kellnerinnen fänden. Stattdessen wurden sie dazu gezwungen, mit manchmal bis zu 30 Soldaten am Tag intim zu werden.
Die vom Militär festgehaltenen Asiatinnen wurden zudem regelmäßig geschlagen. Medizinische Behandlungen und ausreichendes Essen erhielten sie nicht. Als Japan 1945 von den Alliierten besiegt wurde, konnten die Frauen nach Hause zurückkehren. Auch wenn manche von ihnen später heirateten, führten sie doch ein unglückliches Leben. Da sie sich für das Erlebte schämten, schwiegen sie, anstatt Gerechtigkeit einzufordern.
Im Namen der Gerechtigkeit
Fünf Jahrzehnte später nahm sich Matsuis Netzwerk dieser Schicksale an. Mina Watanabe, die Sprecherin des Museums und der Organisation, erklärte, dass „diese Entscheidung nicht nur für die ehemaligen ‚Trostfrauen‘ wichtig war, sondern auch für alle anderen Frauen, die Gerechtigkeit suchten“. In dem von konservativen Parteien regierten Japan habe das Netzwerk seine Arbeit allerdings nur unter großen Schwierigkeiten vorantreiben können.
Der bisher größte Erfolg auf dem Weg zur Gerechtigkeit war das Internationale Tribunal für Kriegsverbrechen gegen Frauen, das am 4. und 5. Dezember 2000 in Den Haag tagte. Viele Frauen, die teils bereits über siebzig Jahre alt waren, konnten zum ersten Mal über das bis dahin im Stillen ertragene Leid sprechen. An der Verhandlung nahmen hochrangige Richter von internationalen Menschenrechtsgerichten, Wissenschaftler, Bürgeraktivisten und frühere japanische Soldaten teil.
In Japan wirbelte das Tribunal viel Staub auf. Die japanische Regierung, die bis dahin jegliche Verantwortung verweigert hatte, musste endlich Stellung beziehen. Die politische Führung stritt zunächst weiter ab, dass Frauen systematisch sexuell missbraucht worden waren. Unter der Last der Beweise war diese Version jedoch nicht länger aufrecht zu erhalten. Die Regierungsvertreter stellten die Frauen daraufhin als ehemalige Prostituierte dar, die nun aus der Vergangenheit Kapital schlagen wollten.
Vor dem Tribunal gaben erstmals japanische Soldaten die Existenz der ‚Trosthäuser‘ zu. Yasuji Kaneko, der 1943 in die Mandschurei geschickt wurde, erklärte vor den Richtern, dass er wie die anderen Kameraden dazu gezwungen wurde, diese Häuser aufzusuchen. Dort habe es „unbeschränkte Vergewaltigungen“ gegeben, sagte er. Zugleich widersprach er Darstellungen der Armee, wonach die ‚Trostfrauen‘ verhindert hätten, dass die Soldaten andere Zivilistinnen missbrauchten.
Der Höhepunkt des Verfahrens war der Auftritt zahlreicher Opfer, die der Öffentlichkeit von der grausamen Behandlung durch das Militär berichteten. Die Koreanerin Ha Sang-Suk sagte, sie sei 1944 im Alter von 16 Jahren von einem von den Japanern angeworbenen Landsmann mitgenommen worden. Detailliert beschrieb sie, wie sie als Sklavin in einem Haus gehalten wurde, in dem Soldaten ein und aus gingen. Sie erhielt kein Geld und wurde verprügelt, wenn sie den Männern nicht zu Willen sein wollte. Als Japan den Krieg verlor, blieb sie in China, wo sie später heiratete.
Das Tribunal, das in Den Haag fortgesetzt wurde, sprach schließlich den japanischen Staat und den Kaiser, der an der Spitze der Armee stand, schuldig. In ihrem Urteil wiesen die Richter darauf hin, dass Japan es versäumt habe, die Unversehrtheit, das Wohlergehen und die Würde von Menschen zu schützen.
Fast neun Jahre nach dem Urteil des Tribunals äußerte sich Watanabe ernüchtert über die Folgen. Die lange Kampagne für Gerechtigkeit habe nicht das erbracht, was sich die Organisation erhofft hatte, sagte sie. Zwar hat der oberste Kabinettssprecher Yohei Kono nach langem Insistieren des Netzwerks inzwischen die Verantwortung der Armee eingeräumt und sich bei den Opfern entschuldigt. Individuelle Entschädigungszahlungen wurden jedoch nicht zugesagt.
Konservative Kreise in Japan arbeiteten in folgenden Jahren darauf hin, die Vorwürfe gegen den Staat zu entkräften. 2007 erklärte der damalige Regierungschef Shinzo Abe, es gebe „keine Beweise“ dafür, dass auf die Frauen „im strengen Sinn des Wortes“ Zwang ausgeübt wurde.
1995 hatten private Geber in Japan allerdings bereits einen Wiedergutmachungsfonds eingerichtet. Aus dem ‚Asiatischen Frauenfonds‘ wurden 285 Opfern ärztliche Behandlungen im Umfang von umgerechnet rund 20.000 US-Dollar bezahlt. Viele ehemalige ‚Trostfrauen‘ lehnten diese Hilfe jedoch ab und verlangten stattdessen eine Entschuldigung des japanischen Staates.
Seitdem sind zahlreiche Frauen erfolglos gegen die Regierung vor Gericht gezogen, um Entschädigungen zu erstreiten. Tokio beharrt nach wie darauf, dass alle Kriegsentschädigungen für die ehemaligen Kolonien durch die Friedensverträge abgegolten seien.
Der Historiker Hiroshi Hayashi von der Kanto Gakuin Universität sieht die ‚Trostfrauen‘ als Dorn im Fleisch Japans. „Die Tatsache, dass die Kaiserliche Armee unschuldige Frauen zum Sex mit Soldaten gezwungen hat, ist einer der schwerwiegendsten Aspekte der Kriegsverbrechen, mit dem sich Japan nach wie vor nur schwer auseinander setzen kann“, sagte er. „Es sei eine typische Haltung, die dunkle Seite der Kolonialzeit zu ignorieren. Nationalisten sprechen weiterhin von einem Krieg, den Japan damals in Asien führte.“
Auch Watanabe rechnet nicht damit, dass diejenigen, die ein öffentliches Schuldeingeständnis des japanischen Staates verlangen, sich gegen die erstarkenden Nationalisten im Land durchsetzen können. Erschwerend kommt hinzu, dass etwa der jüngste territoriale Streit mit China um die Senkaku-Inseln im Japanischen Meer eine hohe diplomatische Hürde geschaffen hat.
„Die Unterstützung in Japan schwindet, und immer mehr betagte Opfer sterben“, sagte Watanabe. „Dennoch werden wir unseren Kampf für Gerechtigkeit fortsetzen.“
*Suvendrini Kakuchi ist eine srilankische Journalistin, die von Japan aus für internationale Medien berichtet. Außerdem veröffentlicht sie regelmäßig Kommentare zu Asien-Themen. Deutsche Bearbeitung: Corina Kolbe/IPS Inter Press Service Deutschland [www.ipsnews.de]