Von Francesco Farnè und Valentina Gasbarri
ROM, 1.1.2016 (IPS) – „In Beirut habe ich mich gefangen gefühlt wie ein Vogel im Käfig. Heute habe ich die Chance, meine Träume zu verwirklichen und von meiner Musik zu leben“, sagt der Geiger Alaa Arsheed, der als syrischer Flüchtling in Italien lebt. Zuvor war eine eine Weile im Libanon gewesen. Er wolle nun ein Kulturzentrum eröffnen, um die syrische Kultur in Europa bekannter zu machen und seinem Volk zu helfen, sagt der 29-Jährige.
In den vergangenen hundert Jahren hat Italien Auswanderungswellen, Binnenmigration und große Einwanderungsströme erlebt. Laut Daten der nationalen Statistikbehörde ISTAT leben in diesem Jahr fast vier Millionen Nicht-EU-Bürger in Italien.
Etwa drei Prozent aller Flüchtlinge auf der Welt kommen in Italien an, geht aus dem Bericht über internationalen Schutz in Italien 2015 hervor, der von dem Gemeindeverband ANCI, dessen Stiftung Cittalia, der Caritas in Italien, der Migrantes Stiftung und dem SPRAR-Projekt in Zusammenarbeit mit dem Innenministerium und dem UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) herausgegeben wurde.
Dem Report zufolge gab es Ende vergangenen Jahres auf der Welt 33 Kriege, 13 Krisensituationen und 16 UN-Missionen. Die humanitären Krisen im Nahen Osten trieben fast 19,5 Millionen Menschen zur Flucht aus ihren Ländern. Krieg und Verfolgung machten zudem 38,2 Millionen Menschen zu Binnenflüchtlingen. 1,8 Millionen waren Asylsuchende. Insgesamt wurden Ende 2014 rund 59,5 Millionen Migranten verzeichnet.
Nach aktuellen Statistiken des italienischen Innenministeriums kamen in diesem Jahr etwa 120.000 Migranten und Flüchtlinge nach Italien. Die meisten von ihnen sind Syrer, gefolgt von Afghanen, Pakistanern und Irakern. Über Libyen erreichten außerdem Eritreer, Gambier, Malier, Nigerianer, Somalier und Sudanesen das Land. 2.900 Migranten ertranken bei den gefährlichen Überfahrten über das Mittelmeer.
Alaa Arsheed erzählt, er habe sich in Italien ein besseres Leben und die Anerkennung seiner Rechte erhofft. Musik und Kunst hätten ihm geholfen, die Schwierigkeiten seiner Flüchtlingsexistenz zu bewältigen. Eine befreundete Malerin brachte ihn in Kontakt mit Barnaba Fornasetti, dem Sohn des bekannten Designers Piero Fornasetti und Geschäftsführer des gleichnamigen Unternehmens.
Barnaba lud Alaa ein, bei der Eröffnung einer seiner Ausstellungen in Mailand auf seiner Geige zu spielen. Der syrische Musiker trat zusammen mit Gian Pietro Masa auf, der mit elektronischer Musik experimentiert. Die Koordination des Projekts übernahm der Musiker und Komponist Roberto Coppolecchia.
„Kunst und vor allem Musik kann ein großes Hilfsmittel für die Integration sein. Musik ist eine Sprache, die direkt die Seele erreicht, unabhängig davon, welche Religion, Nationalität oder politische Überzeugung man hat“, meint Alaa.
Geboren wurde der Künstler in As-Suwayda in der südsyrischen Provinz Daraa, wo im Februar 2011 der so genannte ‚Arabische Frühling‘ begann. Seiner Familie gehörte das ‚Alpha‘-Kulturcafé, der einzige Ort in der Stadt, an dem Künstler ungezwungen zusammenkommen konnten. Das Motto von ‚Alpha‘ lautete ‚Kunst für alle‘, wie Alaa erzählt. „Jeder hat das Recht, am kulturellen Leben der Gemeinschaft frei teilzunehmen, sich an den Künsten zu erfreuen und am wissenschaftlichen Fortschritt und dessen Errungenschaften teilzuhaben“, zitiert er aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen.
Friedlicher Protest gegen Assad-Regierung
Das Kulturcafé beherbergte mehr als 140 Kunstausstellungen sowie Musik- und Literaturveranstaltungen. Dabei gelang es ‚Alpha‘, die Zensur durch die Regierung von Präsident Baschar al-Assad zu umgehen. „Das war unsere friedliche Form des Protests, der sich auf die Künste berief und frei von religiösen und politischen Einflüssen war.“
Ende 2011 war Alaa wie viele seiner Landsleute durch den Bürgerkrieg dazu gezwungen, Syrien zu verlassen. Er konnte nur seine Violine und einige wenige persönliche Dinge mitnehmen. Zunächst zog er in die libanesische Hauptstadt Beirut, wo er unterrichtete und musizierte.
Vor sechs Monaten hatte er eine Begegnung, die sein Leben veränderte. Als er palästinensischen Flüchtlingen in einem Lager Geigenunterricht gab, lernte er den italienischen Regisseur und UNHCR-Botschafter Alessandro Gassman kennen, der im Libanon gerade den Dokumentarfilm ‚Torn – Strappati‘ drehte.
In dem Film, der bei den 72. Filmfestspielen in Venedig vorgestellt wurde, wirkt auch Alaa mit und spielt seine Geige. Das Instrument wurde für ihn zum Symbol dafür, wie Musik den Schmerz einer Generation junger Syrer lindern kann.
Dank seines Talentes und der öffentlichen Aufmerksamkeit, die Gassmann und der UNHCR ihm verschafften, erhielt Alaa ein Stipendium von der ‚Fabrica Communications Research Group‘ in der norditalienischen Stadt Treviso. „In Italien konnte ich mir einen meiner beruflichen Träume erfüllen und mein erstes Album herausbringen“, berichtet er stolz. „Der Titel ist ’sham‘, was auf Aramäisch ‚Damaskus‘ bedeutet.“
Alaa beantragte Asyl in Europa und lebt seitdem in Italien. „Ich vermisse meine Familie und meine Heimatstadt“, bekennt er. Über Skype musiziert er manchmal gemeinsam mit seinen Geschwistern, die Violine, Viola und Cello spielen. Sie träumen davon, eines Tages als Streichquartett in Italien aufzutreten.
Nachdem das Kulturzentrum der Familie in Syrien durch den Krieg zerstört worden ist, möchte Alaa mit der Eröffnung eines neuen ‚Alpha‘ in Italien das Erbe seiner Familie fortsetzen und ein Zeichen für den Erhalt seiner Kultur setzen. „Kunst ist stärker als alles andere“, davon ist er überzeugt.